Von der Integrationsplattform zu SAP MES

Follmann Chemie Gruppe digitalisiert den Standort Minden

Kunden, Märkte sowie der Trend zu mehr Nachhaltigkeit geben auch in der Prozessindustrie den Takt vor. Daher hat die Follmann Chemie Gruppe entschieden, ihre Produktion am Standort Minden zu digitalisieren, um Prozesse effizienter und transparenter zu gestalten und eine durchgängige Rückverfolgbarkeit sicherzustellen. Bei dem MES-Projekt wurde auf SAP MII als vollumfängliches, strategisches MES für die papierlose Fertigungssteuerung gesetzt. Als Implementierungspartner wurde das Projekthaus IGZ ausgewählt, welches mit seinen vielfältigen und namhaften Referenzen in der Prozessindustrie überzeugen konnte. Den Beginn der Zusammenarbeit markierte das Pilotprojekt zur Einbindung von mehr als 100 Tanklagern und Silos, bei dem ein speziell für die Follmann Chemie Gruppe entwickeltes Template zum Einsatz kam. Dieses vereinfacht und beschleunigt künftig weitere Rollouts und den Ausbau der Digitalisierung.

In der Gruppe gibt es zwei Vertriebsgesellschaften: Follmann, als internationaler Anbieter hochwertiger Spezialchemikalien für die Gestaltung von Oberflächen und Verbindungen legt besonderen Wert auf nachhaltige Produkte und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt. Mit wasserbasierten Druckfarben, Klebstoffen, Beschichtungssystemen für dekorative und funktionale Oberflächen sowie Verkapselungstechnologien für vielfältige Industrien bietet Follmann ein breites Sortiment für eine große Vielfalt anspruchsvoller Anwendungen. Triflex ist im Bereich der Bauchemie tätig. Die Abdichtungen, z.B. für Flachdächer, sorgen für einen dauerhaften Schutz der Bausubstanz vor eindringender Nässe und Feuchtigkeit, die Markierungswerkstoffe für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das in dritter Generation familiengeführte Unternehmen aus dem ostwestfälischen Minden beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter(innen) und erwirtschaftet 2021 einen Umsatz von mehr als 220 Millionen Euro.

Durchgängige Digitalisierung der Produktion  

Um sich für die Zukunft zu rüsten und seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, kam der erfolgreiche Mittelständler nicht umhin, seine Produktion auf den Prüfstand zu stellen. Handlungsdruck erzeugten in erster Linie Risiken in Bezug auf den Ausfall des ERP-Systems und den manuellen Auftragsabwicklungsprozess, zeitverzögerte Reaktionsmöglichkeiten sowie Defizite beim Thema Rückverfolgbarkeit. Zwar war bereits SAP MII (Manufacturing Integration and Intelligence) im Einsatz, doch die Potenziale wurden bislang nicht ausgeschöpft. Dies sollte sich durch den Ausbau der bestehenden Installation von einer reinen „Datendrehscheibe“ zum vollumfänglichen MES ändern.

Wie so oft lag die Crux aber im Detail. Darauf verweist Wilhelm Lange, Abteilungsleiter IT der Follmann Chemie: „Wir verstehen uns als Nischenspezialist. Bei der Einführung eines MES besteht die Herausforderung darin, sehr viele kleinere Produktionseinheiten aufzusetzen.“ So existieren allein in Minden neun Produktionsabteilungen mit unterschiedlichen Strukturen. „Der notwendige Aufwand muss sich lohnen. Deshalb war uns wichtig, dass ein Template entwickelt wird, dass eine maximale Wiederverwendbarkeit sicherstellt. Es sollte quasi repräsentativ für alle weiteren Bereiche sein“, so Lange weiter. „Hinzu kam, dass das Personal vorwiegend mit Papier unterwegs war. Durch das manuelle Arbeiten wurde viel Zeit verschwendet und die Fehlerquote war hoch.“

Klar strukturiertes, phasenorientiertes Migrationskonzept

Mit einem einheitlichen, standardisierten und rolloutfähigen Template für sämtliche Produktionsbereiche sollen zukünftig diese Herausforderungen gelöst werden. Im ersten Schritt sollte das System Echtzeitübersicht, Transparenz und dadurch deutliche Effizienzsteigerungen ermöglichen – etwa mittels reduzierter Produktionskosten dank integrierter Prozesse und Live-Korrekturen. Weiterhin sollte die Bestandssicherheit gewährleistet und Verbraucherfassungen ermöglicht werden, um die Lieferfähigkeit zu verbessern. SAP MII stand dabei zu keinem Zeitpunkt zur Disposition, denn das MES ermöglicht eine durchgängige Integration vom ERP bis zum Shopfloor, um die oben genannten Anforderungen in einem ersten Schritt umzusetzen. Ein weiterer Vorteil ist die flexible Erweiterbarkeit für künftige Prozessanforderungen, welche das Template sukzessive anreichern sollen.

Nach der Einsatzanalyse mit den SAP-Ingenieuren der IGZ fiel der Startschuss: SAP MII wurde zunächst im Bereich „Bauchemie“ eingeführt. Konzentriert wurde sich in Phase 1 auf die Verwaltung der Tanklager sowie die Umsetzung des Online-Bestandsmanagements. In Phase 2 wird das im Pilotprojekt begonnene Template um herstellungs- und abfüllspezifische Funktionen für den PVC-Sektor angereichert. Follmann Chemie überzeugte die jahrelange, fundierte Prozessindustrie-Erfahrung von IGZ, deren ganzheitlicher Projektansatz und die Absicherung des Projekterfolgs durch eine strukturierte Projektmethodik. Ganz entscheidend waren weiterhin die bei IGZ verfügbaren SAP MII Best Practices , die den strategischen Ansatz, SAP MII als umfängliches MES für alle Bereiche einzusetzen, erst ermöglichen.

Durchgängige Transparenz und Echtzeitsicht

Vor Einführung der ersten Phase war speziell im Bereich der Tanks und Silos die Produktionsausfallquote hoch. Der Grund waren meist intransparente Bestände. Es fehlte eine durchgängige Online-Integration und Visualisierung der tatsächlichen Ist-Situation der Bestände. Da daraus resultierend ausschließlich Plan- statt real verwendeter Chargen erfasst wurden, konnte somit auch keine Transparenz sowie Rückverfolgbarkeit ermöglicht werden. Ein weiteres Manko war darüber hinaus, dass Korrekturbuchungen manuell im ERP-System vorgenommen werden mussten – das sorgte zusätzlich für einen erheblichen, zeitlichen Versatz. Der einhergehende papierbasierte Handlingsaufwand zur Dokumentation dieser Korrekturbuchungen war enorm.

Deshalb bildeten die funktionalen Schwerpunkte bei der Anbindung der mehr als 100 Tanks und Silos die Online-Wareneingangserfassung für Lkw-Anlieferungen mit SAP MES, die Einführung einer digitalen Echtzeitdarstellung von Beständen und verfügbaren Komponenten sowie ein physikalischer Abgleich über verbaute Sensoren. Dazu kam die Standardisierung der Maschinenintegration mittels OPC-UA und SAP PCo und umfangreiche Korrekturfunktionen zur Regulierung von Messungenauigkeiten und Abweichungen zwischen Buchbestand und Realität. Dabei erfolgt nun stets auch ein Bestandsabgleich mit dem SAP ERP-System. Zudem wurde die bestehende Prozessleittechnik angebunden, um chargenreine Entnahmen von Komponenten zu ermöglichen.

Die Migration auf das neue System verlief sehr erfolgreich: „Wir haben noch nie so einen reibungslosen Go-Live durchgeführt“, zeigen sich die Projektleiter SAP MES, Florian Dinges und Besnik Seilmaj, äußerst zufrieden. Die Piloteinführung von SAP MII im Bereich der Tanks und Silos stellte den ersten Schritt zur Online-Rückverfolgbarkeit und der transparenteren Abarbeitung von Folgeprozessen im Bereich der bauchemischen Herstellung dar. Durch den Wegfall manueller Erfassungen wurde die Prozessqualität deutlich erhöht und der Zeitaufwand minimiert. Heute ist es dank der Online-Maschinenintegration möglich, die Füllstände permanent abzugleichen und frühzeitig Abweichungen zu erkennen, um Folgekosten zu vermeiden – der mit Abstand größte Nutzen für Follmann Chemie. Mit dem in den Tanklagerbereichen umgesetzten MES Funktionen der Phase 1 wurde die Grundlage für den Ausbau eines Template-basierten, strategischen MES geschaffen. Ein weiteres erreichtes Ziel, war auch, dass die Follmann-IT und die Key-User, mit Hilfe von IGZ befähigt wurden, zukünftige Funktionserweiterungen und Rollouts auf weitere Produktionsbereiche zunehmend eigenständig vornehmen zu können.

Templateerweiterung um Herstell- und Abfüllungsprozesse 

Die zukünftige Erweiterung des Templates sieht vor, die Herstell- und Abfüllungsprozesse im PVC-Bereich zu digitalisieren. Notwendige Funktionserweiterungen wurden im Rahmen einer sogenannten Delta-Einsatzanalyse durch IGZ im Gesamtkontext nochmals konkretisiert, um auch hier eine verlässliche, operative Grundlage für die Online-Auftragsabwicklung und weitere geplante Rollouts zu schaffen. Zukünftig werden die Werker mittels der IGZ Best Practice „Electronic Work Instruction“ (EWI) Schritt für Schritt über einen übersichtlichen und benutzerfreundlichen Bedienpanel durch den kompletten Herstellungsprozess geführt, was eine prozesssichere Abarbeitung der SAP PP-PI-Steuerrezepte garantiert. Das Best Practice  „Interface Management“ stellt die durchgängige Kommunikationsüberwachung mit S/4 HANA und dem Shopfloor (Prozessleitebene, Tanklager, Silos,…) sicher. Über die IGZ Best Practices „Bestandsverwaltung und Betriebsdatenerfassung“ erfolgt die kontinuierliche Verbrauchserfassung (für Rohstoffe und Zwischenprodukte) sowie Leistungsdatenerfassung zu Personal- und Maschinenzeiten. Damit ist auch die eindeutige Identifikation der hergestellten Produkte im Sinne einer automatisierten Chargenrückverfolgung gewährleistet.

Zusätzlich kann das Template zukünftig auch um die SAP EWM (Extended Warehouse Management) Integration für die Ver- und Entsorgung der Herstell- und Abfüllbereiche erweitert werden

Volle Kontrolle und mehr Effizienz in den Prozessen

Durch die Piloteinführung und die Aufrüstung der vorhandenen SAP MII-Datendrehscheibe zu einer leistungsstarken, MES-gesteuerten Integrationsplattform zwischen SAP ERP und dem Shopfloor wurde bei Follmann Chemie eine fehlerfreie, effizientere Produktionssteuerung mittels Online-Tanklagervisualisierung und chargenreiner Entnahme von Komponenten erreicht. In den Phasen 2 und 3 sollen weitere MES-Funktionalitäten zur prozesssicheren Abarbeitung von Produktionsaufträgen und der vollständigen Rückverfolgbarkeit in allen Produktionsbereichen umgesetzt werden. Dabei stehen zusätzlich noch weitere Funktionen auf der To-Do-Liste wie z. B. die integrierte Qualitätskontrolle mit SAP QM sowie der Ausbau der papierlosen, digitalen Kommunikation zwischen Werkern und Schichtleitern über ein MII Message Cockpit.

IT-Leiter Wilhelm Lange von Follmann Chemie signalisiert große Zufriedenheit mit dem gemeinsam Erreichten: „Das SAP MES ist für uns praktisch der alles entscheidende Problemlöser. Damit ist es uns gelungen, schwerwiegende Altlasten in den Griff zu bekommen. Ein Highlight sind die benutzerfreundlichen Werker-Dialoge, die uns alle relevanten Informationen in Echtzeit zur Verfügung stellen.“ Sven Hagedorn, Head of SAP Technology bei Follmann Chemie, ergänzt: „Bis zum Projektstart mit dem Piloten war speziell das Tanklager für uns eine Art Blackbox.“ Heute sind alle Prozesse und Bestände durchgängig transparent und jeder einzelne Schritt nachvollziehbar und rückverfolgbar. „Dabei haben wir ganz hervorragend mit der IGZ zusammengearbeitet“, so Hagedorn weiter. „Die Interaktion war geprägt von Vertrauen und der enge Austausch war stets konstruktiv, lösungsorientiert und stets auf Augenhöhe.“