dormakaba-Gruppe: Vernetzt von der Maschine bis ins ERP-System - Fertigung steuern mit Standardsoftware

Der Hersteller von Zutritts- und Sicherheitslösungen dormakaba fertigt seine Systeme individuell nach Kundenvorgabe. Daraus ergeben sich hohe Ansprüche an Vorfertigung und Montage, die zu einer äußerst komplexen Prozess- und IT-Systemlandschaft führen. Die Unternehmensgruppe legt besonderen Wert auf das Qualitätsmanagement, die Prozesstransparenz und die Fähigkeit, Bauteile bis zur Maschinenebene rückverfolgen zu können. Dafür hat die Firma am Standort Wetzikon zusammen mit dem SAP-Projekthaus IGZ seine eigenentwickelten IT-Lösungen für Produktion und Lager durch Standardsoftware ersetzt.

Die dormakaba-Gruppe entstand 2015 aus der Fusion zwischen der Schweizer Kaba Holding AG und der deutschen Dorma Holding GmbH. Die Gruppe zählt zu den weltweit größten Unternehmen für Zutritts- und Sicherheitslösungen. Rund 16.000 Mitarbeiter entwickeln und produzieren in über 130 Ländern Produkte, Systeme und Services für den Zutritt zu Gebäuden und Räumen in Hotels, Shops, Sportstätten, Flughäfen, Krankenhäusern, Wohnhäusern und Büros.

Sicherheitsrelevante Zutrittslösungen werden stets nach individuellen Kundenvorgaben gefertigt. Diese massenhafte Einzelfertigung spiegelt sich in den Werkshallen des Unternehmens wieder. So laufen im schweizerischen Wetzikon, an dem das neue Manufacturing Execution System (MES) zuerst eingeführt wurde, täglich weit mehr als 2.500 Fertigungsaufträge, über 100 Produktionsmaschinen unterschiedlicher Gattung. Für konventionelle Schließsysteme werden Schlüssel und Zylinder zwar in separaten Produktionsbereichen gefertigt, aber für die Montage, End- und vollständige Funktionskontrolle logistisch zusammengeführt. Auch fortschrittliche mechatronische (digitale) Lösungen für Schließsysteme werden in
Wetzikon gefertigt.

 

Strategie überholt Altsysteme

Für diese unterschiedlichen Produktionsanforderungen nutzte dormakaba bisher mehrere selbst programmierte Lösungen: eine Auftrags- und Produktionsplattform (APP) mit spezialisierter MES Unterstützung sowie ein System zur Verwaltung der Produktions- und Distributionslager (PDL). Diese Lösungen führten zwar zu effektiveren Produktionsabläufen, hatten jedoch den Nachteil, dass sich mit der Zeit eine komplexe Prozess- und Systemlandschaft herausbildete, die das Unternehmen als nicht mehr zukunftsfähig einstufte. Die in den alten Individualsystemen abgebildeten Logistik- und Produktionsfunktionalitäten konnten nicht mehr in eine neue gruppenweite Prozessstrategie auf Basis der Enterprise Resource Planning-Software (ERP) SAP ERP eingebunden werden. Zudem ließen sich Produkte und Prozesse nur noch schwer in die Produktions- und Logistik-IT integrieren.

Zwar arbeiteten die Mitarbeiter bei dormakaba schon vor der Ausarbeitung der Prozessstrategie mit SAP ERP, die Version sollte aber im Projekt durch eine standardnähere ersetzt werden. Da sich die spezialisierten Subsysteme nicht übernehmen ließen, hieß es, die eigene Plattform entweder von Grund auf neu zu entwickeln oder sie auf Marktstandards aufzusetzen und dann zu optimieren. Das Unternehmen entschied sich für den zweiten Weg.

Da die MES-Lösung von SAP den Standard zu einem großen Teil abdeckt, soll SAP ME als strategische Fabriksoftware für die Produktionsstandorte und die sogenannten Local Assembly Center (LAC) die bestehende Auftrags- und Produktionsplattform ablösen. Außerdem ist der Wechsel zum Lagerverwaltungssystem SAP EWM (Extended Warehouse Management) geplant. An dieser Stelle wurden weitere Prozess- und Transparenzverbesserungen wie ein detailliertes Einzelstück-Tracking vorgenommen. Für diesen sogenannten Single Piece Flow mussten zahlreiche Produktionsmaschinen vernetzt werden, um die einzelnen Bauteile mit Produktionsdaten zu versorgen.

 

Analysieren statt Bauchgefühl

Ein solches Anwendungspaket möglichst reibungsarm einzuführen, muss akribisch geplant werden. Als Integrator holte sich der Fertiger das SAP-Projekthaus IGZ mit ins Boot. Zu Beginn des Projektes wurden die Sollprozesse geplant und aufeinander abgestimmt, das Projektteam festgelegt und die Verantwortung verteilt. Dafür stellte der IT-Partner eine Einsatzanalyse für den Abgleich der MES- und Lagerverwaltungsanforderungen mit den zugehörigen Standard-Modulen von SAP voran.

Viele richtungsweisende Entscheidungen bezüglich des IT-Projekte hingen vom Ergebnis dieses Abgleiches ab. In mehreren Workshops analysierte IGZ die Prozessanforderungen, bereits implementierte SAP-Prozesse sowie die bestehende IT- und SAP-Systemarchitektur. Im nächsten Schritt stimmten sich beide Firmen über die Optimierungen ab, die mit dem Systemwechsel erreicht werden sollten. Es wurden SAP-Zielprozesse festgelegt und eine Sollarchitektur aus Software und Infrastruktur erstellt.

 Anschließend wurde der Abdeckungsgrad mit den Funktionalitäten von SAP ME und SAP EWM analysiert, um den erforderlichen Umfang an funktionalen Ergänzungen der SAP-Standardsysteme zu ermitteln. Der Basisabdeckungsgrad von SAP ME lag über 75 Prozent, bei SAP EWM waren es mehr als 80 Prozent. Dass die anfallenden Erweiterungen künftig release-fähig sein würden, spielte bei der Entscheidung eine wichtige Rolle, die Altsysteme abzulösen.

Darüber hinaus war die Vorbereitung eines plausiblen und sicheren Migrationskonzepts der hochoptimierten Bestandslösung bei laufender Produktion ein wesentlicher Teil der Vorprojektphase. Insgesamt stellte IGZ neun Migrationsvarianten zur Wahl, darunter eine Big-Bang-, eine auftrags- sowie maschinenbezogene
Umstellung. Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen der Varianten fokussierte sich das Projektteam auf zwei Möglichkeiten einer bereichsbezogenen Umstellung: Die erste sah die Implementierung von SAP ME ohne eine Modernisierung der Lagerlogistikfunktionalitäten vor. In der zweiten Variante sollte auch die bestehende PDL-Lagerverwaltung mit SAP EWM abgelöst und direkt mit SAP ME integriert werden. Anhand einer Bewertungsmatrix mit strategischen und technischen Aspekten, die auch Einführungsrisiken berücksichtigt,
fiel die Entscheidung auf die zweite Variante.

 

Vorteile des Phasenkonzepts

Zur Risikoreduzierung empfahl IGZ eine bereichsbezogene Umstellung in drei Phasen. Im Rahmen der ersten Phase, dem Piloten, wurde SAP ME vor dem Rollout der neuen ERP-Lösung und ohne Anbindung an das bestehende Lagersystem eingeführt. Die vorgeschaltete Modernisierung der operativen Systeme im Bereich MES sollte die Implementierung neuer ERP-Prozesse sowie parallele Integration von SAP EWM erleichtern. Im ersten Schritt wurde im Werk Wetzikon bereits eine Anbindung von rund 20 Produktionsmaschinen vorgenommen.

Die Maschinenintegration basierte auf einem Integrationsszenario der MES-Anwendung, bei dem sowohl eine Parameterversorgung der Produktionsmaschinen als auch eine Zurückregistrierung pro Einzelschlüssel erfolgt. Diese Integration wurde über Web-Service- Technologie und die Schnittstellenlösung SAP Plant Connectivity (PCo) realisiert. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die intensive Maschinenintegration mit hohem Datenaufkommen. Hier gelang es, die für den Datenaustausch zwischen Maschinen und SAP ME erforderliche durchschnittliche Response- Zeit auf rund 200 Millisekunden einzupegeln.

Im Rahmen der MES-Einführung setzte dormakaba für die Anbindung neuer Maschinen sowie für einen Großteil der bestehenden Maschinen auf die Kommunikationslösung von SAP. Wenige ältere Produktionsanlagen werden zwar auch direkt mit SAP ME vernetzt, jedoch nach bestehender Anbindungstechnologie. In der zweiten Phase des Projektes wird die produktionsnahe Software auf weitere Bereiche ausgerollt und die Lagerverwaltung SAP EWM eingeführt. Danach folgt die abschließende Optimierungsphase, in der weitere Aufgaben in der Produktion im Werk Wetzikon digital unterstützt werden sollen.

 

Produktion und Lager integriert

Aktuell implementiert dormakaba zusammen mit IGZ die Lagerverwaltungssoftware und rollt Teile der MES-Anwendung aus. Nachdem Fertigungsaufträge an SAP ME verteilt sind, fügt sie die Software zu optimierten Gruppen zusammen. Eine Besonderheit bei der anschließenden Bearbeitung der Aufträge ist, dass in SAP ME serialisierte Einzelobjekte eines Produktionsloses positionsgenau auf strukturierten Objektträgern (Plastik-Trays) verwaltet und diese an SAP EWM für die logistischen Bewegungen übergeben werden.

Die Lageranwendung lagert die Träger als Handling Units ein. Nach Aufforderung von SAP ME werden sie als Auslagerungsauftrag abhängig von verfügbaren Arbeitsplätzen oder Arbeitsplatzgruppen an SAP EWM beauftragt. Dann erfolgt die Identifikation der Träger und damit der Aufträge in SAP ME, deren ME-geführte Bearbeitung und gegebenenfalls die neue Avisierung an SAP EWM zur Einlagerung.

Künftig wird der Hersteller von Zutrittssystemen durch eine durchgängige ERP-, MES und LVS-Lösung auf Basis von SAP-Standards unterstützt. Dadurch reduziert das Unternehmen die Komplexität seiner Prozess- sowie Systemlandschaft und blickt sorgenfrei auf kommende Releases. Zudem können die IT-Mitarbeiter bei dormakaba jederzeit eigene Ergänzungen an der gesamten SAP-Infrastruktur einbringen.

Nach dem Pilotprojekt stehen der IT-Abteilung umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung, geplante Erweiterungen vor dem Go-live in einer Testumgebung zu überprüfen. Das entsprechende Programm von IGZ ermöglicht auch in Laborumgebung, die Maschinenkommunikation mit SAP ME realitätsnah zu emulieren. Das gleiche Werkzeug hilft auch dabei, die Lagerverwaltungs- und Materialflussprozesse zu verbessern.

Durch das Phasenmodell konnte dormakaba die Einführungsrisiken deutlich reduzieren. Ebenso gelang es dem Unternehmen, früh internes Wissen über die neuen Systeme aufzubauen, um sie selbstständig zu betreiben.
Kennzahlen sorgen für eine durchgängige Rückverfolgbarkeit in der Fertigung und liefern Hinweise auf weiteres Optimierungspotenzial. Immer mehr papierlose oder papierarme Prozesse reduzieren bereits jetzt den Zeitaufwand für den Druck, die Verteilung und die Aktualisierung sowie die Suche nach Dokumenten. Ebenso verringern sich Durchlaufzeiten sowie die außerordentliche Kommunikation unter den Abteilungen. Für dormakaba ist das IT-Vorhaben am Standort Wetzikon ein Leuchtturmprojekt. Wenn dort etwas gut funktioniert, profitieren bald auch die anderen Werke der Unternehmensgruppe davon.


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