Einheitliche Prozesse und Echtzeitdaten

Weltweiter MES-Rollout bei Continental

Lange prägten historisch gewachsene und komplexe Produktionssysteme die Werks-IT von Continental. Jetzt stellt der Zulieferer im Rahmen seines Smart-Manufacturing-Programms in ausgesuchten Standorten auf SAP Manufacturing Execution als Standard-MES um. Drei Werke nutzen die Software bereits – und ein Template beschleunigt alle folgenden Rollouts.

Vor Initiierung des Projekts Air Spring Manufacturing Execution (AIMX) prägte das Bild in den dreizehn Produktionsstätten des Pilot-Geschäftsbereichs von Continental zahlreiche proprietäre Subsysteme sowie aufwendige manuelle Aufschreibungen. Ziel des Programmes war, diese Systemlandschaft optimiert zu standardisieren. Aufgrund der bisherigen Abläufe fielen auf administrativer Ebene zahlreiche manuelle Nachbuchungen an. Zudem verursachten nicht systemgestützte Feinplanungen einen im Hinblick auf den Smart-Factory-Gedanken nicht weiter hinnehmbaren Aufwand. So fiel die Entscheidung, ein Fertigungsmanagementsystem einzuführen, über das sukzessive alle Abläufe der Luftfederbalgproduktion digitalisiert und vereinheitlicht werden sollten. Zielvorgabe war, innerhalb von fünf Jahren alle Kernprozesse der Balgproduktion von der Konfektion über die Vulkanisation bis hin zum Prüfen und Verpacken des fertigen Luftfedersystems an den Standorten Hannover, Ungarn, Mexiko, Hamburg und in der Türkei umzustellen.

Anforderungen im Standard

Eine Voranalyse zeigte, dass SAP ME (SAP Manufacturing Excecution) im Vergleich mit anderen MES-Lösungen die höchste im Standard vorhandene Funktionsabdeckung zu den Continental-Prozessen erzielt. Das System überzeugte zugleich mit seiner Integration in das ERP-System von SAP sowie der standardisierten Maschinenintegration. Anpassungen und Weiterentwicklungen im Rahmen des Standard-Erweiterungskonzepts beeinträchtigen die Upgrade- und Release-Fähigkeit nicht. Weiterhin sollte die Lösung als einheitliches Template für schnelle und sichere Rollouts konzipiert werden. Als Entwicklungs- und Realisierungspartner wählte Continental das auf Produktion und Logistik spezialisierte Systemhaus IGZ, das auf weitreichende Erfahrungen mit SAP-MES-Projekten zurückgreift.

Weitere Rollouts abgesichert

In der Spezifikationsphase des Projektes wurde von Continental und IGZ gemeinsam ein Template erarbeitet. Die daraus entstandenen vorkonfigurierten Standard-Funktionspakete von SAP ME sollen wesentlich dazu beitragen, die weltweiten Prozesse zu vereinheitlichen und dabei den Rollout abzusichern sowie zu beschleunigen. Diese Pakete decken unter anderem Funktionen für Production Operator Dashboards (POD), Montage von Komponenten, Maschinenintegration, Etikettierung und Reports ab. Ergänzt werden sie durch Features wie Track&Trace, Serialisierung, Data Mining und das Bestandsmanagement. Continental entschied sich auch die Integration der IGZ-Best-Practice-Pakete ‘Order Cockpit’ zur grafischen Auftragsfeinsteuerung via Drag&Drop und das OEE-Paket zur Analyse und Steigerung der Gesamtanlageneffektivität einzufügen. Beide Programme sind vollständig auf Basis von SAP ME abgebildet.

Erneute Evaluierung erfolgreich

Nach Finalisierung des Templates wurde SAP ME im Jahre 2017 zunächst in einem Pilotprojekt im ungarischen Nyíregyháza eingeführt. Wenige Monate später folgte der Rollout der Balgfertigung im Werk Hannover. Unter anderem wurden sämtliche Prüfmaschinen über SAP PCO (Plant Connectivity) an SAP ME angebunden und mit Terminals ausgerüstet. Parallel wurden die manuellen Arbeitsplätze mit Bedienterminals bestückt. Anschließend erfolgte der Rollout für die Montage der gefertigten Bälge. „Während wir in Ungarn noch von IGZ unterstützt wurden, konnten wir den Rollout in Hannover dank des systematischen Wissenstransfers durch IGZ und auf Grundlage der vereinheitlichten Funktionspakete bereits größtenteils selbstständig abwickeln“, berichtet Hendrik Neumann, Head of Manufacturing Execution Systems bei Continental. In einem weiteren Schritt erfolgte zum Jahreswechsel auf 2020 der Rollout in San Luis Potosí, Mexiko, der weitgehend in Eigenregie durchgeführt wurde. Auf Grundlage all dieser Erfahrungen evaluierten die Verantwortlichen das Fertigungsmanagementsystem erneut. Im Ergebnis soll SAP ME bei Continental zukünftig als Standard-MES für alle Geschäftsbereiche der Business Area ContiTech dienen.

Effizientere Serialisierung

Seit Inbetriebnahme wird im ersten Produktionsschritt, der Konfektionierung, jedem Produkt eine Seriennummer zugewiesen. Dafür sind die Vormaterialien bereits mit Barcodes versehen, die vor Einführung in den Prozess gescannt werden. Über das Werker-Terminal wird signalisiert, ob der Werkstoff auch tatsächlich für das zu fertigende Produkt bestimmt ist und welches Mindesthaltbarkeitsdatum vermerkt ist. „Durch das Einscannen werden die Daten zu jedem gefertigten Produkt automatisch erfasst. Ob Material, Komponente, Maschine oder Standort – alle Hintergründe sind in Echtzeit belegt und durch eine Seriennummer nachvollziehbar. Das Produkt bekommt damit eine eindeutige Identität“, erklärt Hendrik Neumann. Die Prozesse seien zwar auch in der Vergangenheit dokumentiert worden, eine Serialisierung wäre damals auf diesem Wege allerdings nicht möglich gewesen.

Vielfältig nutzbare Datenbasis

Jeder Mitarbeiter erhält nun klare, digitale Anweisungen via Bildschirm und wird somit Schritt für Schritt durch den Fertigungsablauf geführt. Dies führte zu einer Effektivitätssteigerung, da sich der Mitarbeiter auf die wesentlichen Bearbeitungsschritte konzentrieren kann. Die integrierte Prozessverriegelung hilft, Fehler früh zu vermeiden. Deren Korrektur würde später einen deutlich höheren Aufwand verursachen. Das vermittelt Werkern ein Gefühl von Sicherheit und ist der Produktqualität zuträglich. Die Serialisierung versetzt Continental zudem in die Lage, Nachfragen schnellstmöglich beantworten und auftretende Probleme rasch identifizieren zu können. Auch ist in Echtzeit erkennbar, inwieweit die einzelnen Maschinen ausgelastet und wo möglicherweise Engpässe zu erwarten sind. Durchgängige Transparenz sorgt für Rückverfolgbarkeit und Qualitätsverbesserung. Ferner werden die Voraussetzungen geschaffen, Kennzahlen zukünftig anhand von standardisierten Reports auf internationaler Ebene miteinander vergleichen zu können. So kann bei Bedarf punktuell nachjustiert werden.

Steuern statt intervenieren

Im mexikanischen San Luis Potosí ist der Template-unterstützte Rollout von SAP ME bereits in vollem Gang. Auch dort wird die Systemkomplexität auf Basis der SAP-Standardlösung erheblich reduziert. Die Arbeitsplatzbelegung, der Auftragsfortschritt, Termine sowie der Maschinenzustand werden in Echtzeit visualisiert. Prüfdaten können in SAP ME ausgewertet und für weitere Analysen im System abgelegt werden. Auch die Maschinenfreigabe und die Validierung von Qualitätskontrollen lassen sich durch das Fertigungsmanagementsystem steuern. Bereits angeschlossen sind die Bereiche Vormaterial, Balgproduktion und Montage für die Produktgruppe Schlauchrollbälge. „Wir haben viele Vorteile durch den Einsatz von SAP ME“, sagt Dalia Gabriela Ubaldo Castillo, Head of SCM im Werk in San Luis Potosí, Mexiko. „Die Bestandsgenauigkeit wurde verbessert, es fällt keine Überproduktion an, der Ausstoß wird in Echtzeit erfasst und eine Menge fehlerbehafteter manueller Arbeiten entfällt.“ Bei der Bedarfsplanung helfe das MES zudem, schnell und auf Basis aktueller Daten entscheiden zu können. Darüber hinaus habe man in San Luis Potosí zuvor eine Menge Zeit investiert, den Produktionsausstoß nachzuverfolgen. Kam es zu Verzögerungen, mussten ad hoc Maßnahmen ergriffen werden. Die Lieferbereitschaft konnte durch den Einsatz von SAP ME optimiert werden.

Mit Echtzeitdaten produzieren

Auch Jorge Arreola, Head of Production & Maintenance, sieht den Nutzen des Systems: „Die Informationen in Echtzeit sind der Schlüssel zur Anpassung und sofortigen Reaktion, um Produktionsverluste zu vermeiden. Sich abzeichnende Probleme, die Ausschuss und Ausfallzeiten nach sich ziehen könnten, werden früh erkannt und es kann gegengesteuert werden.“ Die Vereinheitlichung von Prozessen, Transparenz sowie die Rückverfolgbarkeit durch Einführung der Serialisierung sind für Hendrik Neumann die zentralen Vorteile des globalen Projekts. Als nicht minder wichtig wertet der Projektverantwortliche den schnellen Rollout der Standardsoftware auf Basis des gemeinsam mit IGZ entwickelten Templates. Christian Köllner, Bereichsleiter für SAP Manufacturing-Projekte bei IGZ, betont in diesem Zusammenhang, dass für eine derartige Prozessvereinheitlichung bereits in der Voranalyse sowie Konzeptphase eine Betrachtung von möglichen Prozess-Reengineerings sinnvoll ist, um eine übergreifende Standardisierung der Prozesse zu erreichen.

Plattform für Zukunftsprojekte

Durch die Möglichkeit, Daten direkt im Shopfloor zu sammeln und systematisch aufzubereiten, ergeben sich auch Perspektiven für erweiterte Geschäftsmodelle. So können Produktinformationen etwa in der Cloud bereitgestellt werden. Eine Auflistung im herkömmlichen PDF Format ist dann nicht mehr erforderlich. Die Organisation im Werk selbst ist flexibler geworden, da das Personal bei Bedarf ohne aufwendige Einweisung an variierenden Arbeitsplätzen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus lassen sich die generierten Fertigungsdaten für die Erstellung eines digitalen Zwillings der Produktionsumgebung nutzen. Und angesichts von pandemiebedingten Einreise- und Zugangsbeschränkungen ergriff der Projektverantwortliche Hendrik Neumann auch die Chance, die Mannschaft vor Ort in Mexiko von Deutschland bzw. seinem Home-Office aus via Datenbrille mit einem Remote-Blick auf die SAP-Dialoge zu unterstützen. „All dies ist ein guter Start auf dem Weg zu Industrie 4.0”, sagt Neumann. Doch der Blick ist weiter nach vorne gerichtet: „Ganz oben auf der Agenda steht jetzt die Prognosegüte. Gerade mit Machine Learning und KI können wir Qualitätsprobleme erkennen, bevor sie sich auf die Produktion auswirken.” Damit ließen sich Ressourcen sparen und gleichzeitig das Kundenerlebnis verbessern. Die nächsten Ziele von Continental und IGZ sind damit gesetzt.


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